Vor 75 Jahren revolutioniert Opel mit dem 1,8
Liter-Modell den Automobilmarkt
Rüsselsheim. „Sensationelle
Ankündigungen sind im Automobilhandel recht häufig,
wirkliche Sensationen dafür umso seltener. Das
Erscheinen des neuen 1,8 Ltr. Opel-Wagens ist eine der
ganz großen, wie sie oft fünf oder mehr Jahre auf sich
warten lassen.“
So euphorisch
begrüßte die „Berliner Börsenzeitung“ Anfang 1931 das
neue Opel Sechszylinder-Modell vom Typ 1,8 Liter.
Die neue
Fahrzeugfamilie war gemeinsam mit bei GM in den USA
entwickelt worden und bot modernes Fahrzeugdesign in
Verbindung mit Sechszylinder-Komfort zum Preis eines
Vierzylinder-Wagens. Tatsächlich verfügten die Modelle
über einen erstaunlichen Antriebskomfort mit seidenweich
laufendem Motor, der zunächst bei 3.200 U/min 32 PS
mobilisierte, ab 1933 stieg die Leistung bei
unveränderter Drehzahl auf 34 PS. Sechs Versionen
standen zur Wahl, von der viertürigen Normal-Limousine
über den rassigen „Moonlight“-Roadster bis zum eleganten
Sport-Zweisitzer, mit dem das Unternehmen erfolgreich im
Motorsport antrat. Bei der Langstreckenfahrt „2000 km
durch Deutschland“ im Jahr 1933 trugen sich die 1,8
Liter Sport-Zweisitzer in die Siegerlisten ein.
Mit
selbstbewussten Aussagen wie „Der Wagen des neuen
Jahrzehnts“ und „Der goldene Schnitt“ warb Opel für
seinen technisch und optisch überzeugenden
Sechszylinder. Trotz wirtschaftlicher schwieriger Zeiten
wurde das Fahrzeug ein großer Erfolg: bis November 1933
verkaufte Opel inklusive der Lieferwagen auf 1,8
Liter-Basis 33.805 Exemplare des wegweisenden Modells
und begründete eine lange Reihe an leistungsstarken und
bezahlbaren Mittelklasse-Automobilen mit
Sechszylindermotor. 1934 trat der weiter entwickelte
Opel 2 Liter das Erbe an, nach dem Krieg knüpften der
Rekord 6 und die Commodore-Baureihen an die früheren
Erfolge an.
Kraftvoll und
geschmeidig
Bereits bei der
Entwicklung des neuen Sechszylinder-Modells gingen Opel
und GM völlig neue Wege: ein Preisausschreiben
ermittelte unter potentiellen Käufern und
Wagenbesitzern, über welche Eigenschaften ein Automobil
verfügen soll. „Preiswert in der Anschaffung,
zuverlässig, sicher, billig im Betrieb sowie kraftvoll
und geschmeidig“, lauten die fünf meistgenannten
Eigenschaften aus tausenden von Einsendungen. Das
Ergebnis wurde am 24. November 1930 anlässlich der
Opel-Händlertagung in Frankfurt am Main präsentiert: der
Opel 1,8 Liter Sechszylinder.
„Man hat den
tüchtigsten Ingenieuren den Auftrag gegeben: „Baut uns
einen Wagen, der die Welt erobert!“. Die Ingenieure
haben sich dieser Aufgabe unterzogen ohne jede Rücksicht
auf alles bisher Dagewesene, ohne Rücksicht auf die
laufenden Bänder, auf das bisher verwandte Material, auf
Maschinen und Werkzeuge, nur fußend auf Erfahrungen, die
der größte Automobilkonzern der Welt beim Bau von 20
Millionen Automobilen gewonnen hat. Dieser 1,8 Liter
Opelwagen hat zwei Jahre lang – sowohl in Amerika, als
auch in Deutschland – seine Leistungen und Eignung durch
harte Proben Tag und Nacht beweisen müssen
“, heißt es bei
der Präsentation.
Der 1,8 Liter
verfügt über einen Sechszylinder-Reihenmotor mit 1.790
ccm Hubraum, der 32 PS bei 3200 U/min leistet und den
Wagen auf eine Spitze von 90 km/h beschleunigt.
Motorblock, Zylinderkopf und Kolben sind aus Grauguss,
die seitlich stehenden Ventile werden über eine
stirnradgetriebene Nockenwelle betätigt. Vier Gummilager
halten Vibrationen vom Fahrgestell fern, Chassis und
Fahrwerk sind bewährte Konstruktionen. Die Karosserie
sitzt auf einem soliden U-Profilrahmen, vorne wie hinten
besitzt der 1,8 Liter Starrachsen an Blattfedern und
hydraulischen Stoßdämpfern. Für Aufsehen sorgt neben der
prestigeträchtigen Sechszylindertechnik die moderne
Form, die in den Designstudios von GM entstanden ist und
mit dem schlanken, verchromten Kühlergrill an die
aktuellen Chevrolet-Modelle erinnert. Ab Januar 1931
laufen die ersten Einheiten des Mittelklassewagens mit
der Typenbezeichnung 18 B in Rüsselsheim vom Band.
„Der goldene
Schnitt“
Die Erfahrungen
der Opel-Mutter GM mit rationeller Großserienfertigung
und die modernen Anlagen des größten deutschen
Autoherstellers Opel erlauben es, die einzelnen
Komponenten des neuen Modells so günstig zu fertigen,
dass zum ersten Mal auf dem deutschen Markt ein
Sechszylinder-Wagen annähernd zum Preis eines
Vierzylinders angeboten werden kann. Sechs Versionen
stehen zur Wahl. Die viertürige „Normal-Limousine“
kostet 3295 Mark, für den Aufpreis von 155 Mark erhält
der Käufer die „Sonnenlimousine“, einen geschlossenen
Viersitzer mit Kunststoff bezogenem Schiebedach. „Für
elegante Menschen von kultiviertem Geschmack“ wird das
„Sonnen-Coupé“ angeboten, das zum Preis von 3.495 Mark
über ein großes Stahl-Schiebedach verfügt. 3.175 Mark
kostet die zweisitzige, zweitürige Cabriolet-Version.
Eine Lieferwagen-Variante mit Kastenaufbau und 350
Kilogramm Nutzlast ist für 2.950 Mark zu bestellen.
Günstigstes Modell bleibt der viersitzige, offene
„Touring“ für 2.700 Mark.
Für Opel wird
der Typ 1,8 Liter ein großer Erfolg. Im März und April
1931 werden täglich durchschnittlich 283 Opel-Automobile
in Deutschland verkauft, im Juni läuft bereits der
10.000ste 1,8 Liter vom Band, 1.000 Einheiten des 1,8
Liter werden im Juni ausgeführt, der Opel-Anteil am
deutschen Autoexport steigt auf 77,6 Prozent.
Im Sommer 1932
wird die Baureihe durch weitere Versionen ergänzt. Ab
Werk wird eine zweitürige Cabriolimousine mit vier
Sitzplätzen und feststehenden Fensterrahmen geliefert.
Eine Ausnahmestellung nehmen die beiden Sport-Zweisitzer
auf 1,8 Liter-Basis in der Modellpalette ein, die von
namhaften Karosseriebauern eingekleidet werden. Der bei
Autenrieth in Darmstadt gebaute, 3.700 Mark teure
Sport-Zweisitzer verfügt über eine zweisitzige
Cabrio-Karosserie mit tief ausgeschnittenen Türen, ein
am Wagenheck befestigtes Reserverad sowie ein
wetterfestes Klappverdeck. Das beim Kölner
Karosseriebauer Deutsch geschneiderte Blechkleid des „Moonlight-Roadster“
ist noch knapper. Seinen Namen verdankt der niedrige
Zweisitzer einer Fahrzeuggattung aus der Zeit der
US-amerikanischen Prohibition. Alkoholschmuggler bauten
sich für nächtliche Schmuggelfahrten sprintstarke und
niedrige Roadster, die nachts unter den für Lastwagen
konzipierten Zollschranken durchschlüpfen konnten. Der
rassige Moonlight-Roadster unterscheidet sich vom
Sport-Zweisitzer durch die gepfeilte Windschutzscheibe
und die Speichenfelgen anstelle der Stahlscheibenräder.
Nur 51 Exemplare des 3.895 Mark teuren Roadsters
entstehen.
Unter der
Bezeichnung „Regent“ wird im Juli 1932 eine ebenso
repräsentative wie innovative 1,8 Liter-Variante
präsentiert. Der Regent besitzt eine hochmoderne
Karosserie mit geschwungenem Ganzstahldach sowie ein
schräg abfallendes Heck, in welches das Ersatzrad
eingelassen ist. Erstmals werden bei einem Opel-Modell
Begriffe wie Stromlinienform und Aerodynamik betont, der
Prospekt hebt die Vorteile hervor:
„Die
charakteristischen Merkmale des Opel Regent sind weiche,
fließende Linien in harmonischer Proportion und eine
starke Verringerung des Luftwiderstands und der
Luftwirbel. Über schräge Flächen, an gewölbten, glatten
Außenwänden entlang, wird der auftretende Luftstrom
nahezu reibungslos geleitet.“
Wie bei der Serie 18 B gibt es auch vom Regent
verschiedene offene und geschlossene
Karosserievarianten.
„Erfahrungsgemäß überlegen“
Zwei Jahre nach
der Präsentation erfährt der Motor eine grundlegende
Überarbeitung. Ab 1933 ersetzen bei allen Opel-Modellen
Leichtmetallkolben die Vorgänger aus Grauguss, eine
höhere Verdichtung, größere Einlassventile und ein
verbesserter Vergaser steigern die Leistung des
Reihensechszylinders auf 34 PS bei 3.200 Touren. Die
moderne Auslegung als Kurzhuber prädestiniert den 1,8
Liter für den Motorsport, an dem sich Opel zum ersten
Mal seit 1926 wieder beteiligt. Zuverlässigkeitsfahrten
fordern den Einsatz seriennaher Technik, Höhepunkt der
Saison ist die 2.000-Kilometer-Deutschlandfahrt.
„Noch nie hat die Welt eine Motorsportveranstaltung von
dem Ausmaß und der Bedeutung wie die 2.000
Kilometerfahrt durch Deutschland erlebt. Noch nie wurden
an die Automobiltechnik und Fahrer so gewaltige
Anforderungen wie bei dieser Ohnehaltfahrt gestellt...“,
beschreibt die Mitarbeiterzeitschrift „Der Opel Geist“
die Bedeutung der Marathon-Prüfung. Vom Start- und
Zielort Baden-Baden führt der Rundkurs über die
Eckpunkte München, Berlin und Köln 2000 Kilometer durchs
Land, allein 1200 Kilometer sind auf kurvenreichen und
steilen Straßen im Mittelgebirge zu absolvieren. Zum
Pausieren bleibt keine Zeit, wer den Schnitt erfüllen
und unter der vorgegeben Zeit von 28 Stunden und 13
Minuten bleiben will, muss durchfahren.
Zwölf serienmäßige Opel 1.0 und 1.8 Liter stellen sich
der Aufgabe, elf erreichen das Ziel. Als bester
Opel-Pilot schneidet Erwin Sander aus Berlin auf seinem
1.8 Liter Sport-Zweisitzer ab, der auch die
Vorgebezeiten für stärkere Fahrzeuge unterbietet.
Nach 26 Stunden und 23 Minuten erreicht Sander das Ziel,
die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt 78,8 km/h.
Nach weiteren Siegen verabschiedet sich die 1,8
Liter-Baureihe Ende 1933 eindrucksvoll von der
Autobühne.
