2005-04-20

70 Jahre Opel Olympia

 

 

Opel baute das erste deutsche Großserienauto mit selbsttragender Karosserie

 

Rüsselsheim.  Im April 1935 kommt die automobile Revolution aus Rüsselsheim. Mit dem Modell Olympia 1,3 Liter, benannt nach dem zukünftigen Großereignis des Jahres 1936, schreibt Opel Technik-Geschichte: Der erste deutsche Großserienwagen mit selbst­tragender Ganzstahl-Karosserie – ein noch heute gültiges Bauprinzip - läuft in Rüsselsheim vom Band. Die Neuerung hat Einfluss auf den gesamten Automobilbau, der bisher auf die aus dem Kutschen-Zeitalter stammende Trennung von Rahmen und Aufbau und in der Regel auf eine Holz/Stahl-Gemischtbauweise setzte. Dies ist nun vorbei: „Die von früher her gewohnte Unterteilung zwischen Fahrgestell und Karosserie wird hinfällig“, erklären die Opel-Konstrukteure. Die Vorteile der neuen Konstruktionsweise mit einer Einheit aus Karosserie und Chassis liegen auf der Hand: geringeres Gewicht bei gleichen Abmes­sungen, bessere Fahrleistungen bei unveränderter Motorleistung, erhöhte Sicherheit durch eine steife Fahrgastzelle.

 

Mit dem Olympia bringt Opel eine Fülle von Neuerungen in den Automobilbau ein. Aufgrund der selbsttragenden Karosserie besitzt das neue Modell eine verformbare Karosseriestruktur, die im Falle einer Kollision Energie aufnimmt – die „Knautschzone“ ist geboren. Wegweisend ist ebenfalls die Fertigungstechnik. Bei der „Hochzeit“ werden im Produktionsprozess Karosserie mit den vormontierten Antrieb und Achsen verbunden. Diese rationelle Fertigung ermöglicht einen Preis von 2500 Reichsmark für den Olympia, der als Cabriolet-Limousine und zweitürige Limousine zu haben ist und einen maß­geb­lichen Anteil daran hat, dass Opel im Jahr 1935 zudem noch einen neuen Rekord aufstellt. Mit 102.293 gebauten Fahrzeugen überschreitet das Unternehmen als erster deutscher Hersteller die Hunderttausend-Produktionsmarke.


 

Revolution aus Rüsselsheim

 

Das erste Mal stellt Opel sein neues Modell auf der 26. Internationalen Automobil­ausstellung im Februar 1935 in Berlin vor und gewährt dabei Einblicke in die neue Technik. Dach, Türbleche, Motorhaube und Kofferraum des Ausstellungsstücks sind aus Plexiglas gefertigt, um die neue Form des rahmenlosen Aufbaus zu veranschaulichen. Schon im Jahr zuvor, am 19. September 1934, war das „sprengwerkartige Wagenkastengerippe“ zum Patent angemeldet worden. „Das Gerippe der Karosserie ist wie ein Brückenträger aufgebaut, eine Ausführungsform, die bei geringstem Gewicht die mühelose Aufnahme großer Kräfte möglich macht. Dieses Gerippe besteht aus Profilträgern, die wie im Metall­flugzeugbau miteinander verbunden sind“, erklären die Konstrukteure das Prinzip der selbsttragenden Karosserie. Deren Herstellung bringt völlig neue Herausforderungen mit sich. Bisher übernahm der separate Fahrzeugrahmen die tragende Rolle, jetzt muss die Karosserie selbst Kräfte aufnehmen. Mit Hilfe von speziell entwickelten Tiefziehblechen sowie dem Punktschweißverfahren – tausende Schweißpunkte geben dem Stahlkleid des Olympia Halt - gelingt es den Technikern, eine verwindungs- und biegesteife Karosserie zu entwickeln, die zudem zum Vorläufer heutiger Sicherheitszellen im Fahrzeugbau wird. Verformbare Bereiche der Karosserie dienen dem Insassenschutz, eine Sollbruchstelle im gabelförmigen Frontprofil soll im Falle eines Aufpralls einen Teil der Energie verzehren. Auch wenn noch niemand davon spricht, ist beim Olympia erstmals eine „Knautschzone“ an Bord. Opel ist damit Vorreiter einer neuen Sicherheitstechnologie.

 

Hochzeit in der Herstellung

 

So revolutionär wie die Karosserie präsentiert sich auch deren Fertigung. Mit dem Olympia hält die „Hochzeit“ in den Produktionsprozess Einzug, die bis heute gebräuchliche Zusammenführung der Karosserie mit Antrieb und Achsen. Bisher wurde der Fahrzeug­rahmen mit Motor, Getriebe, Lenkung, Achsen und Rädern bestückt, bevor der Aufbau hinzukam. Dies alles geschah auf einer Ebene. Jetzt werden Motor, Getriebe und Achsen mit hydraulischen Hebebühnen unter die an einer Förderkette hängende Karosserie gehoben und miteinander verbunden, sie feiern „Hochzeit“. Am 26. Juni 1935 meldet Opel auf das neue Montageverfahren ein Patent an, das unter der Nummer 765899 erteilt wird und heute noch weltweit den Automobilbau bestimmt.

 

Fortschritt in Form und Technik

 

Opel bringt die Innovation mit dem Typ Olympia 1,3 Liter unters Volk. Zwei Karosserie­varianten sind lieferbar, beide besitzen als gestalterisches Novum anstelle von freistehen­den Lampen in die Karosserie integrierte Scheinwerfer. Ebenfalls angeboten wird eine zweitürige Limousine. „Auch das Dach ist erstmals aus einem Stück Stahl – ein schützen­der Panzer von höchster Widerstandsfähigkeit“, wie die Werbung verspricht.

 

Durch die rahmenlose Bauweise ist der Platz im Innenraum gewachsen, die Ausstattung zeigt sich gediegen. „Die Polstersitze sind mit Cord bezogen, die Rücklehnen der Vorder­sitze lassen sich vorklappen, die Hintersitze sind in Breite und Tiefe so günstig bemessen, dass man volle Bewegungsfreiheit hat und auch dadurch keine Fahrstrapazen spürt.“ Die schon von anderen Modellen bekannte „Opel-Zugfrei-Belüftung“ durch vordere und hintere Ausstellfenster ist ebenfalls patentiert. Der Kofferraum wird von Innen beladen, was auch Vorteile mit sich bringt: „In einem Stück mit der Karosserie fugenlos verbunden, ist er gegen Straßenstaub, Witterungseinflüsse und Diebstahl gleichermaßen geschützt.“

 

Von der selbstragenden Karosserie profitiert das Fahrverhalten. Das Leergewicht des Olympia liegt bei nur 835 Kilogramm, durch Verzicht auf den separaten Rahmen liegt der Schwerpunkt nun 15 Zentimeter tiefer als beim Vorgängermodell 1,3 Liter. Von diesem hat der Olympia Motor und große Teile des Fahrwerks übernommen. Die Leistung von 24 PS aus 1288 ccm ermöglicht eine Höchstgeschwindigkeit von 95 km/h, dabei begnügt sich der seitengesteuerte Reihenvierzylinder mit rund 9 Litern auf 100 Kilometern. Blatt­ge­federte Starrachse und Hinterradantrieb entsprechen dem Stand der Technik, an der Vorderachse verfügt der Olympia über einzeln aufgehängte Räder und die im Jahr 1934 vorgestellte „Opel Synchron-Federung“. In einem waagerecht am Achsrohr angebrachten, geschlossenen Stahlgehäuse liegt die Feder-Dämpfer-Einheit staubdicht gekapselt in einem Ölbad. Je stärker das Rad einfedert, desto stärker drückt der Tragarm des Rades über einen Nocken auf eine innenliegende Schraubenfeder, beim Ausfedern kommt der Stoßdämpfer zum Einsatz. „Wer den Wagen viel zum Reisen benutzt, wird mit Freude feststellen können, dass Wagen mit Opel-Synchron-Federung die lästigen Begleit­er­scheinungen langer Fahrten – Müdigkeit und Zerschlagenheit – nicht mehr aufkommen lassen. Denn die ermüdenden Nickschwingungen werden durch die Opel-Synchron-Federung in einen angenehmen Fahrrhythmus umgewandelt. Der Opel Typ Olympia ist förmlich mit der Straße verwachsen, seine Sicherheit ist nicht zu überbieten.“

„Er ist der Wagen unserer Zeit“

 

Noch aber trägt der Olympia nicht den berühmten Blitz am Bug. Ein stilisierter Zeppelin steht für den Fortschritt und ein Diskuswerfer für die klassischen Ideale des bevor­stehen­den Sport-Ereignisses. Neben dem Wagen trägt auch die Opel-Werbung moderne Züge. Für den hohen Bekanntheitsgrad des Olympia sorgt Opel mit spektakulären Werbe­aktionen, die den Namen um die Welt tragen. Im Juni 1936 fahren zwei Olympia nach Griechenland, um den Fackelstaffellauf vom Stadion des alten Olympia bis nach Berlin zu begleiten. 3075 Kilometer bewältigen die Fahrzeuge, die sich technisch nicht von Autos der Serie unterscheiden.

 

Schon kurz darauf schafft es ein Olympia höher, schneller und weiter hinaus, als irgendein Automobil zuvor. Der 500.000ste Opel seit Beginn der Fertigung im Jahr 1899 – natürlich ein Olympia – nimmt im Bauch des Luftschiffs Hindenburg als erstes Automobil den Luft­weg nach Rio de Janeiro, wo Wagen und Besatzung begeistert empfangen werden. Ähn­lich reagieren die Käufer: 37.127 Olympia werden im Jahr der Olympischen Spiele produ­ziert.

 

1936 avanciert das Unternehmen mit 120.852 verkauften Lkw und Pkw zum größten Automobilproduzenten Europas. Bis zum Spätsommer 1937 laufen vom Olympia 81.661 Exemplare in Rüsselsheim vom Band, nicht zuletzt dank intensiver Modellpflege. Die beschert dem Olympia 1,3 Liter im gleichen Jahr eine auf 26 PS gestiegene Motorleistung sowie eine hydraulische Bremsanlage und ein Vierganggetriebe.

 

Zum Modelljahr 1938 erfährt der Olympia eine grundlegende Überarbeitung und präsen­tiert sich in drei Varianten. 2675 Mark kostet die zweitürige Limousine ab Werk, 2750 Mark die Cabriolet-Limousine und 2950 Mark die neue Limousine mit vier Türen. Statt der mittig angeschlagenen Motorhaubenhälften bekommt der Olympia eine vorn und in einem Stück zu öffnende „Alligatorhaube“. Die größte Änderung verbirgt sich darunter. Mit dem 38 PS starken 1,5 Liter-ohv-„Hochleistungsmotor“ debütiert ein Meilenstein des Motorenbaus bei Opel. Das Konstruktionsprinzip mit hängenden Ventilen, angetrieben von Stoßstangen, und kurzhubiger Auslegung distanziert den Olympia klar von seinen unterlegenen Kon­kurrenten und qualifiziert den 1,5 Liter sogar für den Motorsport.

 

Elf Wagen, darunter drei Olympia im Serientrimm, nehmen 1938 an der internationalen Deutschen Alpenfahrt teil. Mehr als 1600 Kilometer die über 38 Pässe führen machen die „Gebirgsfernfahrt“ zur Belastungsprobe für Mensch und Material. Die Fahrt wird für Opel zu einem Triumph: alle elf Autos kommen ins Ziel, gewinnen fünf Goldplaketten, zwei Edelweißmedaillen und den begehrten Alpenpokal für den besten Serienwagen.

 

Im Jahr 1940 muss die Produktion ziviler Fahrzeuge in Rüsselsheim eingestellt werden, ins­gesamt 168.875 Olympia rollen bis dahin vom Band. Im Dezember 1947 ist der erste Personenwagen aus Rüsselsheim wieder ein Olympia.