2004-07-20

Frisches Denken sorgt für klare Strukturen im Innenraum des neuen Astra

"Wir müssen die Dinge immer wieder neu betrachten"

 

Rüsselsheim.  Beat Finkbeiner (41), Stellvertretender Studioleiter Astra, Stefan Lummitsch (33), Konstrukteur, und Helmut Nitzsche (48), Gruppenleiter Konstruktion im Fachbereich Thermal des Internationalen Technischen Entwicklungszentrums, haben gemeinsam die Belüftungsmitteldüse des neuen Opel Astra entwickelt. Die Konstruktion ist jetzt als Patent angemeldet. Im Interview schildern sie die Zusammenarbeit in einem cross-funktionalen Team und geben einen Einblick in die Herausforderungen, die auf dem Weg von einer innovativen Designidee zu einer patentreifen Konstruktion liegen.

 

Bei der Belüftungsmitteldüse hat eine patentreife Konstruktion ein dynamisches, ausdrucksstarkes Design ermöglicht. Wer hatte im Entwicklungsprozess die Führung, die Designer oder die Ingenieure und Konstrukteure?

 

Finkbeiner: Zuerst steht das Designthema fest. Klar war, wir wollen eine Mitteldüse mit einer ruhigen, klar strukturierten Gitteranmutung. Sobald das feststand, haben wir mit dem Konstruktionsteam von HelmutNitzsche und Stefan Lummitsch ganz eng zusammengearbeitet. Da hatte jeder immer ein offenes Ohr für den anderen, und wir haben besprochen, was überhaupt in der Praxis wie umzusetzen ist, wo es sich lohnt, Möglichkeiten auszuloten, und wo es keinen Sinn macht weiterzuarbeiten.

 

Nitzsche: Ja, wer die Führung hat, die Frage stellte sich gar nicht. Die Teamarbeit war von Anfang an ganz klar auf das gemeinsame Ziel hin orientiert: Wir wollten eine optimale Lösung finden, die die Designideen von Beat Finkbeiner und seinem Team realisiert und gleichzeitig technisch optimal ist. Als wir anfangs unter konstruktiven Aspekten geprüft haben, ob das, was die Designer vorschlagen, technisch überhaupt umsetzbar ist, haben wir uns fast täglich ausgetauscht. Das war insgesamt ein iterativer Prozess: immer wieder Meetings, immer wieder Absprachen auf dem kurzen Dienstweg, immer wieder Abstimmung über die Ideen und Lösungsvorschläge.

 

Lummitsch: Zwischendurch gab es dann aber auch Phasen, in denen wir ausschließlich konstruiert haben. Das heißt, wir haben die gemeinsamen Ideen in konstruktive Details ausgearbeitet und erst danach hat sich das Team erneut zusammengesetzt.

 

Wie viel Zeit verging von der Idee bis zur Realisierung?

 

Nitzsche: Die Zeit zwischen der Stylingfreigabe und dem Produktionsstart betrug in unserem Fall lediglich 20 Monate – da sind wir in den letzten Jahren viel schneller und effizienter geworden.

 

Finkbeiner: Allerdings lag vor diesen 20 Monaten, also vor der Stylingfreigabe, eine Zeit, in der das Designthema festgelegt wurde – das geht bis zu einem Punkt, den wir „styling freeze“ nennen. Beim „styling freeze“ steht das Designthema fest – und daran wird danach  in der Regel auch nichts mehr geändert. Konkret steht dann fest, ob es zum Beispiel eine runde oder rechteckige Belüftungsdüse geben wird, ob es eine Lamellendüse oder eine Schwenkdüse ist und so weiter. Nach dem „styling freeze“ kommt dann bis zur Stylingfreigabe noch das „fine tuning“. Dabei werden Details wie Markierungen auf den Stellrädern und Radienfestlegungen oder auch Symbole gemeinsam festgelegt.

 

Nitzsche: Ganz am Ende erfolgt dann die technische Freigabe.

 

Sie sprechen immer von der engen Zusammenarbeit mit Ihren Lieferanten. Wann wurden die Zulieferer in Ihr Projekt einbezogen?

 

Nitzsche: Wann die Zulieferer jeweils konkret in ein Projekt und in die Arbeit einbezogen werden, ist sehr stark vom jeweiligen Teil abhängig. Im Falle der Belüftungsdüse für den Astra wurde der Lieferant vor dem „styling freeze“ nominiert. Ein sichtbares Funktionsteil wie die Belüftungsdüse ist von großer Bedeutung. Denn es ist ein optisch auffälliges Teil, das der Kunde bei jeder Fahrt im Blick hat und das er sehr häufig anfasst. Deshalb muss es vor allem auch ergonomisch optimal sein und das ist aufgrund seiner Konstruktion aus rund 20 Einzelteilen sehr anspruchsvoll. Bei einem solchen Teil wollen wir bei Opel auf jeden Fall das Konzept und die Konstruktion selbst bestimmen.

 

Finkbeiner: Wir wollen, dass ein solch prominentes Teil typisch für unsere Marke ist. Das heißt, es muss aussehen und sich anfühlen wie Opel. Wir wollten hier ganz klar selbst die Führung bei Konzept und Konstruktion haben. Der Lieferant hat uns in technischen Fragen unterstützt.

 

Auffällig an der Belüftungsmitteldüse ist, dass die so genannte Bügelfalte, die das Design der Motorhaube bestimmt, als Gestaltungselement wieder aufgenommen wird. Wieso?

 

Finkbeiner: Wir haben die Bügelfalte ganz bewusst nach innen geholt, um hier das Design konsequent fortzusetzen – und zwar sogar über die Belüftungsdüse hinaus auch in den Bereich des Infotainment-Systems, dessen Bedienungselemente ja direkt unter der Mittel­düse liegen.

 

Ihre Arbeit muss also nicht nur zwischen den Designern und einem einzelnen Fach­bereich abgestimmt werden, der für die Konstruktion der Belüftungsdüse verantwort­lich ist, sondern auch mit den Bereichen, die für angrenzende Teile zuständig sind?

 

Lummitsch: Unbedingt, denn wenn wir beispielsweise die Lage einer Öffnung für ein Stellrad an der Mitteldüse verschieben wollen, weil wir das aus technischen, ergonomi­schen oder konstruktiven Gründen für sinnvoll halten, könnte das zur Folge haben, dass sich beim Radio die Tasten aus optischen Gründen mit verschieben würden. Das muss erst mit dem angrenzenden Fachbereich des Radios abgestimmt werden.

 

Nitzsche: Alle Bereiche, die an die Belüftungsdüse angrenzen, müssen zusammenkommen und die offenen Punkte diskutieren. Jeder hat dabei zu prüfen, ob Änderungen möglich sind, ohne die Konzeptvorgabe zu verlassen.

 

Wie umfassend sind denn die Vorgaben, die Sie bei Ihrer Arbeit zu beachten haben, etwa im Hinblick auf die Finanzen oder auf gesetzliche Vorschriften?

 

Lummitsch: Alle Vorgaben sind in einem Lastenheft spezifiziert. Das ist sehr weitreichend. Aus meiner Sicht als Konstrukteur etwa waren bei der Belüftungsdüse verschiedene Vor­gaben in puncto Sicherheit zu beachten, für den Fall eines möglichen Kopfaufschlags etwa und zahlreiche Fahrgastinnenraum-Vorschriften. Da kann es auch passieren, dass solche Vorgaben im Gegensatz zu den Ideen der Designer stehen. Aber genau darin liegt ja eine interessante Herausforderung unserer Arbeit, nämlich die Designideen mit der Technik und den Vorgaben der Gesetze und so weiter in Einklang zu bringen.

 

Nitzsche: Die Vorgaben, die die Belüftungsmitteldüse betreffen, sind sehr umfangreich. Für ein behagliches Innenraumklima sind zum Beispiel die Luftmengenverteilung und Richtbarkeit der Düse von großer Bedeutung. Sie muss für Fahrer und Beifahrer getrennt regelbar sein. Ebenso wichtig sind die Ergonomie und die Haptik. Vieles konnte im Vorfeld durch Simulationsberechnungen ermittelt werden. Danach wurden dann mit Prototyp­teilen die Vorgaben im Fahrzeug überprüft.

 

Finkbeiner: Richtig interessant wird es natürlich immer beim Thema Finanzen. Wir müssen gemeinsam mit dem Lieferanten herausfinden, was innerhalb des vereinbarten finanziel­len Rahmens machbar ist. Da spielte im Falle der Astra-Mitteldüse für uns vor allem auch die so genannte wahrnehmbare Qualität eine wichtige Rolle. Das galt besonders für die Form der Oberflächengestaltung und die Lackierung. In diesem Zusammenhang ent­stehen dann auch Ideen für unterschiedliche Ausstattungsvarianten. Die aufwändige und optisch optimale Metallic-Lackierung der Mitteldüse ist deshalb der Ausstattungsvariante Sport des neuen Astra vorbehalten.

 

Was bedeutet angesichts der klar definierten Vorgaben eines Lastenheftes frisches Denken für Sie?

 

Finkbeiner: Wir müssen die Dinge immer wieder neu betrachten und immer wieder anders bedenken und angehen. Das ist eine Frage der Haltung. Ich bin überzeugt, dass diese Haltung auch etwas Spielerisches haben sollte. Klar, dass wir ernsthaft arbeiten, und ich meine auch keine modischen Gags, aber man braucht die Fähigkeit zum lateralen Denken, das in alle Richtungen geht und von vorneherein nichts ausschließt.

 

Lummitsch: Bei der Mitteldüse war das Designthema technisch und konstruktiv äußerst schwierig. Um die gewünschte optische Anmutung zu erzielen, mussten wir schließlich den Drehpunkt in die Vorderkante der Lamelle legen und zugleich durfte im Luftauslassbereich kein Stellelement vorhanden sein. Das war eine wirkliche konstruktive Herausforderung. Aber das spannende Designthema hat mich motiviert, immer weiter nach einer Lösung zu suchen – und zwar nach genau der Lösung, die diese innovative und optisch anspruchs­volle Umsetzung ermöglicht.

 

Und dabei hatten Sie dann die Absicht, ein neues Patent zu schaffen?

 

Nitzsche: Nein, niemand beginnt seine Arbeit mit der Vorstellung: „Los, jetzt entwickeln wir mal etwas, um das zum Patent anzumelden“. So funktioniert das nicht. Während der Lösungsfindung entwickeln sich Ideen, wobei sich dann die eine oder andere davon als patentwürdig erweist. Darum kümmert sich dann unsere Patentabteilung.

 

Lummitsch: Bevor ich mit der Detailkonstruktion beginne, betrachte ich auch Lösungen, die sich auf dem Markt in ähnlicher Form bereits bewährt haben. Dann studiere ich diese technischen und konstruktiven Lösungen und lasse mich davon auch inspirieren. Und im Laufe des Entwicklungs- und Konstruktionsprozesses stelle ich dann vielleicht fest: Was wir hier gerade entwickeln, das ist einmalig und gibt es in dieser Form noch nicht. So war es jedenfalls jetzt beim neuen Astra.